Expertenbefragung in der Zukunftsforschung

Bei der Expertenbefragung geht man von der Annahme aus, dass Spezialisten am besten dafür geeignet sind, die Entwicklungen ihrer Disziplin abzuschätzen. Die Gefahr der Expertenbefragung ist die Fachblindheit. Denn oft tun sich gerade Spezialisten schwer, über die Konventionen ihrer Disziplin hinauszudenken, oder es fehlt ihnen der Blick für die Umweltverhältnisse, in welche ihre Arbeit eingebettet ist. Zudem gehen Experten gerne vom technisch Machbaren aus und berücksichtigen zu wenig, ob die Allgemeinheit überhaupt Interesse daran hat, ob es überhaupt einen Markt dafür gibt.

Die Liste der Irrtümer prominenter Experten füllt ganze Bibliotheken. So versicherte 1899 der Kommissar des U.S. Patentamtes, dass alles, was überhaupt erfunden werden kann, nun endgültig erfunden worden wäre. Der Physiker Albert Michelson behauptete 1903, dass man sämtliche Grundgesetze der Physik nun entdeckt hätte. Thomas A. Edison prophezeite 1922, dass Schulbücher gänzlich durch Filme ersetzt werden würden. Der berühmte Ökonom Irving Fisher diagnostizierte dem Börsenmarkt noch am 17. Oktober 1929 ein „permanently high plateau“. Bereits eine Woche später begann die Große Weltwirtschaftskrise. Der bekannte Atomphysiker Ernest Rutherford behauptete 1933, dass sich Atomenergie niemals praktisch einsetzen lassen würde. Der Chef von 20th Century Fox ging 1946 davon aus, dass Television niemals eine kommerzielle Zukunft haben würde. Der Präsident von Capitol Records glaubte 1964, dass die Beatles in Amerika niemals erfolgreich werden könnten. Ken Olsen, Computerpionier und Gründer der Digital Equipment Corporation, behauptete noch 1977, dass es absolut keinen Bedarf für Computer in privaten Haushalten geben würde.[i] In der berühmten „Long-Range Forecasting Study“ der RAND Corporation aus dem Jahr 1963/64 glaubte die Hälfte der Experten, dass es bis 1975 gelingen würde, das Wetter genau zu prognostizieren.[ii]

Dem gegenüber steht eine Vielzahl von Experten-Prognosen, welche eingetroffen sind. So sagte der Erfinder Nikola Tesla bereits 1904 eine Zukunft der weltweiten Kommunikation mittels transportablen Empfängern voraus. Henry Ford kündigte schon 1908 an, dass es eines Tages ein Automobil für jedermann geben werde. Der deutsche Biologe Hans Spemann nahm bereits 1938 in einem Gedankenexperiment das Klonen vorweg. Robert Oppenheimer berechnete bereits 1939 die Existenz von Schwarzen Löchern, eine Idee die erst ab den späten 1960er Jahren zunehmende Akzeptanz fand.[iii] Viele der richtigen Prognosen von Science-Fiction-Autoren wie Jules Verne oder H.G. Wells wurden bereits erwähnt. H.G. Wells schaffte sogar das Kunststück, bereits 1933 den Beginn des Zweiten Weltkriegs fast auf den Monat genau richtig vorherzusagen. In seiner Prognose führte er zudem aus, dass der Weltkrieg aufgrund eines Konfliktes zwischen Deutschland und Polen um die Freie Stadt Danzig ausbrechen werde.[iv]

Die Prognostiker des „wissenschaftlichen Kommunismus“ führten gerne die eingetroffenen Vorhersagen von Marx und Engels zu Felde, um ihre Überlegenheit gegenüber der „bürgerlichen Futurologie“ des Westens zu demonstrieren. So sagte Friedrich Engels bereits im Jahre 1888 die Unvermeidlichkeit eines Weltkrieges voraus:

„Endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahl fressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet: Hungersnot, Seuchen, allgemeine durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit derart, dass die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt.“[v]

Experten-Prognosen sind also oft verblüffend richtig und ebenso oft verblüffend falsch. Die Bewertung von Experten-Prognosen wird dadurch erschwert, dass diese oft maßgeblich an der Entwicklung des Prognostizierten beteiligt sind. Ford baute sein Automobil für jedermann selbst. Die Prognose der klassenlosen Arbeitergesellschaft von Marx erfüllte sich in manchen Ländern, weil sie der kommunistischen Bewegung als Leitbild diente. Zukunftsvisionen berühmter Naturwissenschaftler verwirklichten sich, weil spätere Generationen von ihnen inspiriert wurden und sie umsetzten.

In Summe betrachtet ist die Trefferquote von Experten jedenfalls nicht zwangsläufig höher als jene von Laien. Dies zeigen auch die zahlreichen Sammelbände mit Zukunftsvisionen von Experten. (…)

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FUSSNOTEN

[i] Malone (1997), S. 27, 35, 69, 81, 87, 114, 135, 156
[ii] Flechtheim (1987), S. 61
[iii] Malone (1997), S. 36, 42, 99, 102
[iv] Flechtheim (1987), S. 64
[v] Engels in Schachnasarow (1982), S. 28f

LITERATUR

Flechtheim, Ossip K. (1987) Ist die Zukunft noch zu retten?, München: Heyne Verlag

Malone, John Williams (1997) Predicting the Future – From Jules Verne to Bill Gates, New York: M. Evans and Company, Inc.

Schachnasarow, Georgij C. (1982) Die Zukunft der Menschheit, Leipzig: Urania Verlag

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Niederwieser, Christof (2015) Prognostik 01: Zukunftsvisionen, Norderstedt: BoD – Books on Demand, S. 145ff

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